Psychoanalyse als Körper- und Beziehungsgeschehen

Es ist eine Grundannahme der Psychoanalyse, dass der Kern des Psychischen körperlich ist. Die Entwicklung der Psyche wird angestoßen und angefeuert durch stark körperliche Bedürfnissen - Triebgeschehen genannt - als ein Ringen zwischen liebevollen und destruktiven Impulsen. So geht es – modellhaft gedacht – darum, 

  • oral nehmen zu können, d.h. Welt zu ergreifen und zu verinnerlichen,
  • anal geben zu können, d.h. den eigenen Innenraum zu entdecken und Genommenes verdaut und autonom in die Welt zu bringen,
  • ödipal Unterschiede, etwa als Geschlecht, zu entdecken und damit auch Trennungen zu erfahren bzw. aushalten als Grundlage von erwachsenen Beziehungen,
  • latent Nehmen, Geben und Beziehung zusammen zu bringen,
  • adoleszent die eigene Sexualität zu integrieren und die bisherigen Beziehungserfahrungen neu zu bewerten.
Freud hat von der psycho-sexuellen Entwicklung gesprochen und damit die Entstehung des Psychischen beschrieben, die stark von körperlichen Bedingungen geformt und geprägt ist. Grundsätzlich wird die Vitalität – also die Lebendigkeit als Grundlage unseres Lebens – biologisch gefasst und als körperlich treibende Kraft (Trieb) begriffen. 

In ihrer Gänze bleibt uns die eigene Vitalität unbewusst, da wir diese Vitalität sind und nicht haben – so die Prämisse der Psychoanalyse: bewusst werden uns lediglich die „Abkömmlinge der Triebe“ in unserem Wollen und Tun. Kaum bewusst ist somit, wie sehr unser Wollen und Tun von körperlichen Bedürfnissen eingefärbt und begrenzt wird.



Mit der Betonung des Körperlichen entsteht die Frage nach der geistigen Verfassung menschlicher Existenz. Freuds Schüler und späterer Konterpart C. G. Jung hat in seinen Schriften besonders die geistige Dimension des Menschen, die Verbundenheit des Einzelnen mit der gesamten (geistigen) Menschheitsgeschichte und die Möglichkeiten von geistigen Entwicklungen unterstrichen, die körperliche Enge weiten.

Trotz der unterschiedlichen Perspektiven S. Freuds und C.G. Jungs ist beiden gemeinsam, dass psychische Entwicklung und geistige Präsens immer an Körperliches und körperlicher Gestalt gebunden bleiben. Spätere Generationen von PsychoanalytikerInnen haben auf die (frühen) Beziehungserfahrungen und darauf hingewiesen, dass sowohl Körperliches als auch Geistiges im Beziehungsgeschehen zusammen kommt.  

Die Psychoanalyse selbst ist Beziehung: in der Beziehung zwischen AnalysandIn und AnalytikerIn entsteht im Verlauf der Analyse eine enge Bindung sowie ein Geflecht von Übertragung und Gegenübertragung, die erfahrungs-gesättigte Erkenntnisse und therapeutische Schritte ermöglichen. Unübersehbar bleibt, dass der therapeutische Prozess ein körperlicher Prozess bleibt. Die Übertragungen prallen körperlich auf, nehmen körperlich mit, wirken körperlich ein und werden körperlich „verstanden“, so dass tiefgehende Erkenntnisse und Veränderungen entstehen können. Die psychoanalytischen Techniken des „holdings“ und „containings“ sind Techniken, die besonders das körperlichen Geschehen im psychoanalytischen Prozess aufgreifen.