Neuropsychoanalyse

Schon 1979 hatte der Nobelpreisträger E. Kandel gefordert, dass die Psychoanalyse - und insgesamt die Psychotherapie - die bedeutsamen Erkenntnisse der Neurowissenschaften integrieren müsse. Dieser Appell mündete bald 20 Jahre später in die Gründung der medizinische Fachgesellschaft Neuropsychoanalyse. Die Neuropsychoanalyse fragt nach den neurobiologischen Prozessen, die die Grundlage psychischer Dynamiken bilden und die psychoanalytischen Sichtweisen verdeutlichen helfen - so etwa die Vorstellung von affektiven Mustern und unbewussten Phantasien. 

Neurowissenschaftliche Grundsätze

Mittels bildgebender, physiologischer und anderer Verfahren kann zunehmend die Hirntätigkeit erschlossen werden, wobei mittlerweile folgende Grundsätze allgemeine Anerkennung gefunden haben: 

  • Netzwerkbildung: Die Aufnahme, Verarbeitung und Nutzung von „Daten/Informationen“ geschieht durch Verknüpfung von Nervenzellen. Die Aktivität einer Nervenzelle induziert die Aktivität oder Hemmung eines Clusters bestimmter benachbarter Nervenzellen, so das neuronale Netzwerke entstehen, die „Datenträger“ von „Informationen“ bzw. Handlungsimpulsen sind.
  • Neuroplastizität: Die neuronale Netzwerkbildung ist plastisch, d.h. sie reagiert sensibel auf äußere Impulse und verändert fortwährend ihre Struktur. Gerade wiederholte äußere Impulse („Übung“) kann eine Veränderung der Gehirnstruktur bewirken. So konnte etwa festgestellt werden, dass die Behandlung einer (längeren) Psychotherapie neuronale Netzwerke und Gehirnfunktionen verändert.
  • Unbewusste Hirntätigkeit: sowohl die Prozesse der neuronalen Netzwerke als auch die Veränderung von Hirnstrukturen bleiben dem Bewusstsein entzogen, geschehen unbewusst und gehen dem bewussten Fühlen, Handeln und Denken voraus.




Assoziatives emotionsbasiertes Gedächtnis (Affekte)

Biographisch prägend und bedeutsam sind jene unbewussten Prozesse, die das Langzeitgedächtnis ausmachen und u.a. mit Schichten im Mittelhirn bzw. dem limbischen System verknüpft sind. Neben dem bewussten Wissen um Daten, Fakten und Begebenheiten (nicht assoziativer Teil) sind es vor allem die assoziativen, unbewussten wie affektgetragenen Erinnerungen und Haltungen sowie Gewohnheiten und Gefühle, die als Grundannahmen und Grundgefühle unser Dasein dauerhaft bestimmen.

Es fällt auf, dass die Affekte und Emotionen innerhalb der Neuropsychoanalyse einen primären Stellenwert gewinnen. So geht etwa M. Solms, auch Nobelpreisträger und Mitgründer der neuropsychoanalytischen Fachgesellschaft, nicht mehr von Trieben und dem Konflikt zwischen Libido- und Todestrieb aus, sondern von sieben Basisemotionen, die unbewusst unser Dasein (mit-)regulieren.

Affekte im Konflikt und Psychodynamik

Ob nun von einer Triebdualität oder von 7 Basisemotionen ausgegangen wird - wesentlich für die Neuropsychoanalyse und im Unterschied zu anderen neurowissenschaftlichen Ansätzen ist die Überzeugung, dass die Trieb- oder Emotionskräfte miteinander nicht konfliktfrei sind und eine Psychodynamik entfachen, die unbewusst bleibt und zugleich die Persönlichkeit formt.